1. Chemisches Potential
Das chemische Potential ist ein grundlegendes Konzept der physikalischen Chemie und der Stoffdynamik, das dazu dient, die allgemeine Neigung von Substanzen zu stofflicher und gestaltlicher Änderung zu charakterisieren und die spontane 'Richtung' chemischer Reaktionen und physikalischer Prozesse zu beschreiben.
Beispiel: Wird reine Acrylsäure längere Zeit aufbewahrt, verändert sie sich von einer ursprünglich farblosen Flüssigkeit mit stechendem Geruch zu einer starren, geruchslosen Substanz, da sich die Acrylsäure-Monomere zu Polymeren verbinden und dadurch verfestigen. Acrylsäure neigt also offenbar von sich aus zu einer Umbildung.
Das chemische Potential μ beschreibt diese 'Neigung zur Umbildung'. Genauer gesagt beschreibt es die Neigung von Stoffen zur…
Umsetzung mit anderen Substanzen
Umverteilung innerhalb des Raumes
Umwandlung der Zustandsart.
Eine Substanz mit hohem chemischen Potential ist also in hohem Maße dazu befähigt, eine chemische Reaktion oder einen physikalischen Prozess anzutreiben. Ist die Neigung im Ausgangszustand stärker als im Endzustand, findet der Prozess statt.
Lösen wir Beispielsweise einen Stoff B in einem Lösungsmittel A, lässt sich das chemische Potential des gelösten Stoffes für starke Verdünnungen (ideale Lösungen) folgendermaßen Berechnen:
Wichtig ist dabei, dass diese Charakterisierung der Neigung zur Umbildung nur für den jeweiligen Stoff gilt. Das chemische Potential hängt also nicht von den Reaktionspartnern oder den gebildeten Produkten, sondern von dem betrachteten Stoff selbst und seiner Umgebung (z.B. in Form eines Lösungsmittels) ab.
Für reale Lösungen lässt sich die Gleichung umgestalten: Wir verwenden die Aktivität a (effektive Konzentration) der entsprechenden Substanz j statt ihres Stoffmengenanteils. Die Substanz j kann dabei sowohl das Lösungsmittel als auch die gelöste Substanz sein.
Für ideale Lösungen entspricht die Aktivität der molaren Konzentration, für reale Lösungen lässt sie sich unter zusätzlichem Einbezug eines Aktivitätskoeffizienten berechnen.
2. Osmose
Eine Lösung ist ein homogenes Gemisch aus mindestens zwei reinen Stoffen. Die Hauptkomponente der Lösung heißt Lösungsmittel, die Nebenkomponente bezeichnen wir als gelösten Stoff.
Wir betrachten folgenden Fall: Zwei verschieden konzentrierte Lösungen eines Stoffes liegen, getrennt durch eine semipermeable Membran, vor. Das Lösungsmittel, nicht aber der Stoff selbst, kann durch die Membran diffundieren. Durch die unterschiedlichen Stoffkonzentrationen ergibt sich eine Potentialdifferenz. Diese Potentialdifferenz bietet die Triebkraft für den Vorgang der Osmose.
Der Begriff 'Osmose' beschreibt die Diffusion eines Lösungsmittels (bzw. einer Flüssigkeit) durch eine semipermeable Membran. Das Lösungsmittel bewegt sich dabei zu jener Seite, die mehr gelöste Teilchen (osmotisch aktive Teilchen) enthält: Es strömt also zu der Seite mit höherem osmotischen Potential bzw. dem höheren osmotischen Druck. Auch das Phänomen der Osmose lässt sich somit mithilfe des chemischen Potentials näher beschreiben.
Der osmotische Druck verhält sich proportional zu der Stoffmengenkonzentration des gelösten Stoffes und der Temperatur: Dieser Zusammenhang wird mithilfe der van't Hoffschen Gleichung mit einem Lösungsmittel A und einem gelösten Stoff B ausgedrückt:
Π: osmotischer Druck
R: allgemeine Gaskonstante
T: absolute Temperatur
c: Stoffmengenkonzentration
Da es sich bei biologischen Membranen um semipermeable Membranen handelt, ist die Osmose in biologischem Kontext von immenser Bedeutung. Speziell die Wasserversorgung von Zellen und ganzen Organismen hängt von osmotischen Potentialen ab. Ist die Anzahl osmotisch aktiver Teilchen und damit der osmotische Druck im Innern der Pflanzenwurzel höher als in der Bodenumgebung, strömt Wasser aus dem Erdboden in die Wurzel und ermöglicht damit die Wasserversorgung der Pflanze.
Da der osmotische Druck von der Stoffmengenkonzentration des Stoffes B, nicht aber von dessen chemischer Struktur abhängt, handelt es sich um eine kolligative Eigenschaft.
3. Kolligative Eigenschaften
Ein weiteres Beispiel für eine kolligative Eigenschaft bietet die Dampfdruckerniedrigung: Steht eine Flüssigkeit A mit ihrem Dampf bei gegebenem Druck im Gleichgewicht, sinkt der Dampfdruck der Flüssigkeit bei Zugabe eines schwerflüchtigen Stoffes B.
Die Flüssigkeit wird im Unterschied zu dem zugehörigen Dampf durch Zugabe des schwerflüchtigen Stoffes verdünnt. Das chemische Potential der Flüssigkeit wird also reduziert, das Potential des Dampfes dagegen nicht. Um nun wieder ein Gleichgewicht zwischen den beiden Potentialen herzustellen, wird der entsprechende Dampfdruck reduziert.
Betrachten wir die Flüssigkeit A im Kontext ihres Gefrierpunktes, lässt sich feststellen, dass auch dieser durch Zugabe eines Fremdstoffes sinkt. Das chemische Potential der flüssigen Phase wird durch Zugabe osmotisch aktiver Teilchen herabgesetzt und sinkt unter das der festen Phase. Dieses Phänomen nennt sich Gefrierpunktserniedrigung ΔTsm und verhält sich wie die Dampfdruckerniedrigung proportional zum Stoffmengenanteil bzw. zur Molalität des gelösten Stoffes.
Ähnlich wie mit dem Gefrierpunkt verhält es sich hinsichtlich des Grundprinzips auch mit dem Siedepunkt, nur dass dieser durch Fremdstoffzugabe erhöht statt erniedrigt wird.
Wird einer Flüssigkeit ein schwerflüchtiger Stoff zugesetzt, erhöht sich das chemische Potential des reinen Dampfes. Neben einer Dampfdruckerniedrigung lässt sich dieses Potential auch durch eine Temperaturerhöhung jenem der Flüssigkeit angleichen und eine Siedepunktserhöhung ΔTvap kann beobachtet werden. Gibt man Wasser also beispielweise NaCl zu, erhöht sich der Siedepunkt proportional zu der Molalität des Salzes.
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Literatur:
Bald, I., Bechmann, W. (2018). Einstieg in die Physikalische Chemie für Naturwissenschaftler. Berlin: Springer-Spektrum.
Denbigh, K. (2010). The Principles of Chemical Equilibrium. Oxford: Oxford University Press.
Job, G., Rüffler, R. (2021). Physikalische Chemie. Berlin: Springer-Spektrum.
Bildquellen: Eigene Darstellung, Vincent Krennerich